Es gab einmal eine Zeit, in der Poker nicht so beliebt war wie heute.

Es gab eine Zeit, als der Main Event der World Series Of Poker kaum mehr als hundert Anmeldungen verzeichnen konnte. Aber seit dem Aufstieg des Internets hat sich das Spiel rapide weiterentwickelt und nichts ist mehr, wie es einmal war. Die Stars, die zuvor noch die Geschichte des modernen Pokerspiels bestimmten, mussten diesen neuen „Internetkindern” Platz machen.

Von ihrem Thron verdrängt, haben sich nur wenige von ihnen über die Zeit behauptet – Phil Hellmuth gehört dazu. Auch wenn die meisten der besten aktuellen Spieler seinen Stil schon harsch kritisiert haben.

Nun, es ist immer etwas schwieriger, sich alter Gewohnheiten zu entledigen und neue zur Routine zu machen als ganz von Neuem anzufangen, das ist eine Tatsache. Aber die Welt ist voller Ausnahmen und heute stellen wir ein ganz besonderes Beispiel vor: Sein Name ist Erik Seidel.

Der Aufstieg eines Sternchens

Seidel wurde 1959 in New York geboren und fing mit dem Glücksspiel Anfang 20 zunächst an der Börse an, bevor er sich mit 27 dem Poker zuwandte. Seiner Herkunft verdankt er sein solides Kartenspiel-Grundwissen. Erik war schon immer ein häufig gesehener Gast des „Mayfair Clubs” in New York, der von vielen als die Talentschmiede der besten Pokerspieler der Achtziger gesehen wird.

Im Mai 1988 feierte er seinen ersten großen Erfolg, als er im WSOP Main Event den zweiten Platz belegte, $ 280.000 gewann und nur dem zweifachen Gewinner Johnny Chan unterlag. Sicherlich nicht der schlechteste Karrierestart.

Drei Jahre und einige Gewinne später kam Erik seinem ersten WSOP-Titel im $5K Limit Hold'em bei der WSOP 1991 ganz nahe. Aber sein erstes Bracelet sowie $ 168.000 gewann er erst im darauffolgenden Jahr bei einem $ 2.500 Limit Hold'em.

Wir befinden uns nun im Jahre 1992 und gerade erst bei den Anfängen von Eriks Karriere. Seidel bereiste während der folgenden zehn Jahre die Welt, gewann drei weitere Bracelets und sammelte Preisgelder in Höhe von mehr als drei Millionen Dollar an.

Aber das Beste kommt erst noch.

Eriks zeitloses Talent

Sich an die Spitze der Pokerspieler vorzuarbeiten, wurde ab 2003 aus den folgenden beiden Hauptaspekten zunehmend schwerer.

1) Der sogenannte „Chris Moneymaker Effect” trat erstmals auf – ein 27-jähriger Amateur gewann das Main Event der WSOP 2003, nachdem er sich über ein $ 39 Online-Satellitenturnier qualifiziert hatte. Viele Spieler wollten ihr Glück bei der World Series Of Poker nun selbst versuchen.

2) Kenntnisse zu dem gedachten Spielablauf verbreiteten sich schnell und führten zu einer wenigen konservativen Spielweise. Neue Wetten entstanden zusammen mit einem grundlegenden Wandel zu einer mehr mathematisch begründeten Spielweise.

Nichtsdestotrotz konnte Erik Seidel seine Verdienste weiterhin stetig steigern, besonders in den Jahren 2011 und 2015. Er schaffte es, sich an der Spitze zu halten und konnte außer 2006 und 2012 einen jährlichen Durchschnittsverdienst von mindestens $ 1,5 Mio. verbuchen.

Hier eine Liste seiner Nettogewinne nach Jahr:

Jahr

2016

Gewinne

$ 5.058.492

Jahr

Gewinne

 

2015

$ 5.093.703

2001

$ 468.249

2014

$ 1.536.877

2000

$ 46.959

2013

$ 2.117.841

1999

$ 292.168

2012

$ 271.774

1998

$ 258.360

2011

$ 6.530.153

1997

$ 197.950

2010

$ 536.615

1996

$ 75.786

2009

$ 469.682

1995

$ 163.347

2008

$ 2.200.333

1994

$ 364.226

2007

$ 1.126.371

1993

$ 163.685

2006

$ 125.356

1992

$ 270.396

2005

$ 887.879

1991

$ 114.465

2004

$ 762.872

1990

$ 23.010

2003

$ 815.679

1989

$ 11.600

2002

$ 556.024

1988

$ 424.000

 

       

Insgesamt

$ 30.963.853

   

Der König der High Roller

Wie schon gesagt hat sich Texas Hold'em innerhalb der letzten zehn Jahre stark verändert. 2010 erreichte diese Entwicklung einen Höhepunkt, kurz bevor der amerikanische Online poker-Markt im Rahmen des so genannten „Black Friday” geschlossen wurde. Eine Generation neuer Spieler fing gleichzeitig aber mit dem regelmäßigen Spiel an und erschaffte so eine komplett neue Pokerszene, in der es fast keinen Platz für die alten Spielstandards mehr gab.

Erik Seidel ist klar eine Ausnahme, denn er ist einer der Wenigen, die ihr Spiel noch verbessern und sich dem neuen Stil anpassen konnten. Dies muss der Schlüssel dazu sein, all diese Jahre an der Spitze zu sein, unabhängig von den komplexen Transformationen des Pokers.

Erik meisterte insbesondere High Roller Turniere und konnte gegen die besten Spieler aus aller Welt unglaubliche Erfolge feiern.

Hier seine High Roller Gewinne, Stand Dezember 2016:

Datum

Turnier

Buy-In

Platzierung

Preisgeld

12.01.2007

Aussie Million Poker Championship

A$ 100.000

2.

$ 437.404

26.06.2009

WSOP H.O.R.S.E. Championship

$ 50.000

8.

$ 162.381

22.01.2011

Aussie Million Poker Championship

A$ 100.000

3.

$ 618.139

27.01.2011

Aussie Million Poker Championship

A$ 250.000

1.

$ 2.472.555

27.02.2011

L.A. Poker Classic

$ 25.100

1.

$ 144.570

18.05.2011

World Poker Classic

$ 100.000

1.

$ 1.092.780

17.08.2012

EPT 9 Barcelona

€ 50.000

6.

$ 188.721

03.02.2013

Aussie Million Poker Championship

A$ 25.000

3.

$ 131.962

30.08.2013

EPT 10 Barcelona

€ 50.000

2.

$ 745.224

21.10.2013

WSOPE Enghien-les-Bains

€ 25.000

8.

$ 74.882

08.12.2013

WPT World Poker Classic

$ 100.000

2.

$ 650.100

07.02.2013

Aussie Million Poker Championship

A$ 100.000

3.

$ 963.691

04.07.2014

Super High Roller II

$ 100.000

4.

$ 366.300

25.01.2015

Aussie Million Poker Championship – LK Boutique

A$ 100.000

6.

$ 395.070

01.02.2015

Aussie Million Poker Championship – NLHE Challenge

A$ 250.000

5.

$ 427.519

20.02.2015

Aria High Roller

$ 25.000

1.

$ 159.230

30.04.2015

EPT 11 Grand Final Monte Carlo

€ 100.000

1.

$ 2.222.222

30.05.2015

Aria High Roller

$ 25.000

1.

$ 354.000

02.07.2015

Super High Roller Bowl

$ 500.000

7.

$ 860.000

01.10.2015

Aria High Roller

$ 25.000

3.

$ 57.000

13.11.2015

APPT High Roller

HK$ 500.000

6.

$ 218.848

20.12.2015

Aria High Roller

$ 25.000

4.

$ 71.040

09.01.2016

PCA High Roller

$ 50.000

5.

$ 301.080

06.02.2016

Aria High Roller

$ 25.000

3.

$ 296.800

29.05.2016

Super High Roller Bowl

$ 300.000

3.

$ 2.400.000

13.07.2016

Aria High Roller

$ 25.000

2.

$ 294.000

20.08.2016

Super High Roller 8-handed

$ 50.000

9.

$ 155.356

06.10.2016

Aria High Roller

$ 25.000

2.

$ 293.125

27.10.2016

Aria High Roller

$ 25.000

3.

$ 127.680

02.11.2016

Triton Super High Roller

HK$ 200.000

4.

$ 101.944

17.11.2016

Aria High Roller

$ 25.000

6.

$ 48.000

19.11.2016

Aria Super High Roller

$ 50.000

2.

$ 510.430

10.12.2016

Aria High Roller

$ 25.000

2.

$ 293.125

 

Insgesamt

 

 

$ 17.605.178

Was geht in Eriks Kopf vor?

Um Seidels verbesserten Stil im Detail zu zeigen, schauen wir uns eine besondere Hand während des € 100.000 EPT Monte Carlo High Roller letztes Jahr an.

Erik stand gegen das neues Pokerphänomen Dzimitrj Urbanovich im Heads-Up, der als Chipleader die Session eröffnete. Zu Beginn dieser ausschlaggebenden Hand hatte er seine Favoritenrolle mit einem Chipsverhältnis von 4 zu 1 aber schon einbüßen müssen.

Wir beginnen mit Seidel mit J♦ 4♦ am Big Blind, der seine Möglichkeiten abwägt. Beide Spieler checken bei 6♠ A♠ A♦, Urbanovich setzt ein Drittel des Pots als der Turn K♦ zeigt. Erik called mit einem Flush Draw und 5♥ erscheint auf dem River.

Urbanovich verfolgt weiterhin sein aggressives Spiel und legt mit etwas weniger als einem halben Pot nach. Seidel nimmt es hin und entscheidet sich nach einigen Minuten für einen Call mit seinem Buben als höchste Karte – und fängt so Urbanovichs unglaublichen Bluff ab, der sich offenbart, als er 4♠ 2♠ zeigt.

Analyse der Hand:

EPT 11 High Roller Grand Final Monte Carlo, Buy-in € 100.000

Blinds: 150K/300K/a40K

Seidel: J♦ 4♦, 12.500.000 Chips
Urbanovich: 4♠ 2♠, 5.200.000 Chips

Preflop: Urbanovich endet auf dem Button, Seidel checkt.

Flop: 6♠ A♠ A♦ beide Spieler checken. (Pot 680.000)

Turn: K♦ Seidel checkt, Urbanovich setzt 300.000, Seidel macht den Call.

River: 5♥ Seidel checkt, Urbanovich setzt 525.000, Seidel macht den Call.

Versuchen wir an dieser Stelle, Eriks Gedanken nachzuvollziehen: Warum würde man hier mit nichts als einem Buben den Call machen?
Urbanovich limpt fast zu 100 % in den Preflop. Daher ist ein Flop mit 6♠ A♠ A♦ nicht so schlecht wie er erscheint.

Nach Eriks Check auf dem Turn mit K♦ ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Urbanovich darauf setzt, den Pot zu stehlen oder eine erfolgreiche Value Bet durchzuführen. Der Call beim Flush Draw ist daher praktisch Pflicht. Die 5♥ auf dem River ist ohne Nutzen. Was kann Urbanovich mit solch einer niedrigen Wette wollen?

Auf einem Flop mit zwei Assen hätte er mit König oder Dame wahrscheinlich eine Value Bet gemacht, darauf spekulierend, den Pot sofort mitzunehmen. Daher bedeutet seine Wette auf dem Turn nicht zwangsweise, dass er einen König hat. Dasselbe trifft auch zu, wenn er auf dem River weiterhin scharf schießt.

Urbanovich hält sich mit einer niedrigen Hand vielleicht eher zurück (wobei eine Dame in dieser Situation schon als hoher Wert zu sehen ist), damit sein Gegner nicht checkt und erhöht. Nach dem ersten Call auf dem Turn wäre jede Wette von Urbanovich auf dem River polarisierend.

Seidel muss den Call für ein Viertel des Pots auf dem River machen, was bedeutet, dass er ein von vier Mail richtig raten muss, um mit einem Plus abzuschneiden. Und das tut er auch.

Wir bitten um Applaus.

Aber was wäre, wenn?

Aktuelle belegt Erik Seidel den zweiten Platz der All Time Money List. Aber wenn wir die Wertungen des „The Big One for One Drop” (einem Turnier mit einer Million Buy-In, das zweimal bei der World Series of Poker veranstaltet wird) entfernen, springt er mit einem Gesamtgewinn von $ 30.963.853 (Stand Dezember 2016) plötzlich an die Spitze.

So sieht die Wertung der All Time Money List ohne die „One Drop”-Einsätze aus: Laut der überarbeiteten Liste wäre Daniel Negreanu mit einem Gesamtgewinn von $ 30.628.693 auf dem zweiten Platz, gefolgt von Phil Ivey mit $ 23.856.035 auf dem dritten Platz.

Aktuelle All Time Money List

All Time Money List ohne „One Drop”

 

Spieler

Gewinne

 

Spieler

Gewinne

Daniel Negreanu

$ 32.619.619

Erik Seidel

$ 30.963.853

Erik Seidel

$ 30.963.853

Daniel Negreanu

$ 24.331.167

Antonio Esfandiari

$ 27.321.224

Phil Ivey

$ 23.856.035

Daniel Colman

$ 26.039.557

Fedor Holz

$ 20.321.184

Phil Ivey

$ 23.856.035

Scott Seiver

$ 20.029.248

Erik, das stille Wasser

Wenn man die Liste von Eriks WSOP-Gewinnen durchsieht, fällt einem schnell die außergewöhnlich hohe Anzahl an Finaltischen auf, an die er es über die Jahre geschafft hat. 41 von 101 ITM (unter anderem 8 Bracelets, 3 Zweit- und 2 Drittplatzierungen).

Eine der besten Statistiken der Pokergeschichte. Auch seine Ergebnisse beim WPT Circuit sind bemerkenswert: 8 Finaltische von 23 Cashes mit einem 1. Platz, einem 2. Platz und einem 4. Platz. Nicht schlecht.

Seidels WSOP Bracelets:

Jahr

Wettbewerb

Buy-In

Preisgeld

1992

Limit Hold'em

$ 2.500

$ 168.000

1993

Omaha 8 oder besser

$ 2.500

$ 94.000

1994

Limit Hold'em

$ 5.000

$ 210.000

1998

Deuce to Seven Draw

$ 5.000

$ 132.700

2001

No Limit Hold'em

$ 3.000

$ 411.300

2003

Pot Limit Omaha

$ 1.500

$ 146.100

2005

No Limit Hold'em

$ 2.000

$ 611.795

2007

No Limit Deuce to Seven Draw Lowball Rebuy

$ 5.000

$ 538.835

Trotz seiner langen Karriere konnte Erik niemals Hellmuths Beliebtheit, Negreanus Charisma oder einen Lauf wie Daniel Colman erreichen, und dennoch ist er der einzige, der auch auf diese Drei herabsehen kann. Tatsächlich ist er kein großer Fan des Scheinwerferlichts, auch wenn er mit seinen Erfolgen klar hervorsticht.

Aber wir wollen uns nicht falsch verstehen – er ist einer der namhaftesten Spieler der Welt. Seine letzte Hand gegen Johnny Chan im 1998 WSOP Main Event hatte sogar einen Gastauftritt in dem besten Pokerfilm aller Zeiten, „Rounders”.

Auch im Fernsehen war er unter anderem bei „Poker After Dark” und dem „Million Dollar Cash Game” zu sehen. Seit 2010 ist er außerdem Mitglied der Poker Hall of Fame.

Seidel gestand neulich, weniger an seinem Spiel zu arbeiten als er sollte. Wir sind schwer beeindruckt und können uns nicht vorstellen, was passieren würde, wenn er mehr daran arbeiten würde.

Er weiß, wie er seinen Stil an verschiedene Spielweisen der Gegnern anpassen kann und ihrem Spiel am besten entgegenwirkt. Das ist Eriks Stil.

Erik Seidels Rekorde:

  • 2. Platz - WSOP Cashes insgesamt (101)
  • 1. Platz - Höchster Gewinn insgesamt USA ($ 30.628.694)
  • 6. Platz - WSOP-Titel insgesamt (8 Bracelets)
  • 1. Platz - WSOP No Limit 2-7 Single Draw Cashes insgesamt ($ 717.259)
  • 4. Platz - WSOP Limit Hold'em Cashes insgesamt ($ 671.560)
  • 2. Platz - Höchster Gewinn insgesamt Ozeanien ($ 6.569.782)
  • 6. Platz - Höchster Gewinn insgesamt Nord- und Süd-Amerika ($ 15.620.619)
  • 2. Platz - Gesamtgewinn ohne Buy-Ins von mehr als $ 50.000 ($ 16.414.764)