Während ich diese Zeilen schreibe, fliege ich gerade von einer chinesischen Stadt namens Harbin nach Hause. Die Reise dauert etwas mehr als drei Stunden, aber das wäre vor ein paar Hundert Jahren nicht möglich gewesen. Heute hat es in Harbin -30 °C, also wäre ich unterwegs wahrscheinlich an einem Kältetod gestorben.

Stattdessen sitze ich hier, meilenweit in der Luft, und schwitze in der Thermounterwäsche, die ich am Flughafen am liebsten ausgezogen hätte. Es ist eine klamme Erinnerung daran, wie schnell sich die Technologie weiterentwickelt und wie drastisch sich die Dinge verändert haben und weiter verändern werden.

Auch beim Poker hat es viele technologische Neuerungen gegeben, aber welche Auswirkungen hatten sie auf das Spiel? Werfen wir einen Blick darauf. 

Die Einführung von Hole Card Cams

Eine der umstrittensten Poker-Innovationen war die Einführung von sogenannten Hole Card Cams. Dabei handelt es sich um winzige, versteckte Kameras, die die Karten der Spieler aufnehmen, wenn ein Cash-Game oder ein Turnier im Fernsehen übertragen wird. Die Zuschauer erhalten damit Informationen über die Karten und können damit noch intensiver mit dem jeweiligen Spieler mitfiebern.

Die RFID-Technologie (ein in den Tisch eingebautes elektronisches Kartenlesegerät) hat die Hole Cards Cams mittlerweile ersetzt. Als sie zum ersten Mal an den Tischen zum Einsatz kamen, war dies ein revolutionärer Schritt für Zuschauer und Spieler.

Die Einführung von Hole Card Cams

Die 1995 von Henry Orenstein erfundenen Hole Card Cams wurden von der Pokerwelt mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Die Aussicht, im Fernsehen zu spielen, begeisterte wahrscheinlich viele Amateure. Aber viele Profis waren besorgt über die möglichen Auswirkungen, wenn sie den Leuten zeigten, wie sie ihre Hände spielten. 

Hellmuth spricht darüber in Folge 11 des Podcasts Against All Odds with Cousin Sal, den Sie auf YouTube finden können.

In dem Interview beschrieb Hellmuth die Einführung von Hole Card Cams als "wie das Einschalten eines Lichtschalters für die ganze Welt", und einige Profis waren (verständlicherweise) nicht einverstanden mit dieser Neuerung. Die Skeptiker waren nicht nur besorgt darüber, dass andere Profis die Live-Daten aufzeichnen könnten. 

Damals gab es nur begrenzten Zugang zu Poker-Coaching. Ohne die moderne Fülle an Online-Inhalten mussten die Spieler also durch ein Trial-and-Error-Verfahren lernen, was funktioniert und was nicht.

Die Einführung von Hole Card Cams sorgte für eine neue Lernquelle, die das Spiel an den Tischen herausfordernder gestaltete und die Gewinne der Profis schmälerte. 

Bedenken und Einwände gegen Hole Card Cams

Es gab auch moralische Einwände. Das Verlieren gehört für neue Spieler einfach zum Spiel dazu. Wie auch die Truman Show riskierte ebenfalls Poker Geheimnisse preiszugeben, die Profis mit viel Zeit und Geld auf die harte Tour gelernt hatten. 

Warum sollten sie gezwungen werden, sie kostenlos zu verbreiten? 

Diese Bedenken waren nicht neu. In den letzten Jahrzehnten gab es viele Diskussionen über die Risiken des Angebots von Coaching-Inhalten. Einige sind der Meinung, dass die finanziellen Auswirkungen durch das verbesserte Niveau von Spielern (und der daraus resultierenden schwierigeren Spiele) den schnellen Gewinn durch Werbeeinnahmen oder Verkäufe überwiegen. 

Nehmen wir zum Beispiel Doyles Super System. Laut seiner Wikipedia-Seite glaubt Doyle, dass es ihn "wahrscheinlich mehr Geld [an den Pokertischen] gekostet hat, als er für das Schreiben des Buches erhalten hat.“

Bedenken und Einwände gegen Hole Card Cams

Um die Sache für diese Skeptiker noch schlimmer zu machen, gingen die Hole Card Cams einen Schritt weiter und machten das Lernen von den Profis angenehmer als je zuvor. 

Anstatt sich abseits der Tische durch langweilige Bücher zu wühlen, konnten sich die Spieler entspannen und von Fernsehsendungen lernen, die absichtlich so unterhaltsam und spannend wie möglich gestaltet waren. 

Hole Card Cams veränderten die Fernsehübertragungen von Poker für immer. Sie machten das gesamte Spiel aufregender und spannender. Wie bei einem Horrorfilm konnte man nun erahnen, was passieren würde, aber man wollte trotzdem sehen, wie es ausgeht. 

Anstatt selbst durch die Praxis an den Tischen zu lernen, bekam man eine Schritt-für-Schritt-Anleitung auf dem Bildschirm präsentiert. Das Spiel schien so einfach zu sein. Die faszinierende Mischung aus einfach und cool steigerte das Ansehen von Poker und zog unzählige neue Spieler an. 

Die Geschichte von Moneymaker ist ein hervorragendes Beispiel für den Einfluss der Hole Card Cams auf das Pokerspiel. Sie begannen mit dem Einsatz der Technologie beim WSOP Main Event 2002, nur ein Jahr bevor Chris Moneymaker den größten Pokertriumph aller Zeiten feierte und den Pokerboom 2003 auslöste.

Es ist schwer vorstellbar, dass sein Erfolg ohne die Aufmerksamkeit und den Unterhaltungswert, den die Hole Card Cams boten, die gleiche Wirkung gehabt hätte.

Der Internet-Effekt

Das Internet war eine weitere treibende Kraft für die Entwicklung des Pokerspiels, denn mit dem Aufkommen der Online-Spiele wurden die Tische viel zugänglicher. Anstatt in ein Casino zu fahren und sich auf eine Warteliste zu setzen, konnten die Spieler jederzeit an einem Spiel teilnehmen – auch wenn sie nur zehn Minuten Zeit hatten.

  • Die Spiele waren viel schneller. 
  • Es gab keine Chips zu zählen oder Karten zu mischen.
  • Die Timer machten langes Tanking (sich bei jeder Hand unnötig viel Zeit zu lassen) unmöglich. 
  • Sie mussten nicht einmal Zeit damit verschwenden, sich anzuziehen. 
  • Noch bevor Sie richtig wach waren, konnten Sie bereits den ein oder anderen großen Pots für sich entschieden haben.
Der Internet-Effekt

Die neue Spielgeschwindigkeit verstärkte die Möglichkeit, an mehreren Tischen gleichzeitig zu spielen. Das Ergebnis war, dass die Anzahl der Hände, die jemand in einer Stunde online spielen konnte, die der Live-Spiele deutlich in den Schatten stellte. Dieser Faktor veränderte die Pokerlandschaft nachhaltig. 

Man konnte nun in einem Jahr mehr Hände spielen als ein Live-Profi in seiner gesamten Karriere.

Erfahrung ist zwar nur eine Komponente der Kompetenz, aber wahrscheinlich die wichtigste, die man unabhängig davon erlernen kann. Diese Überlegung hat sich in der Welt des Pokers durchgesetzt:

Plötzlich konnten die Spieler sehr schnell Unmengen an Erfahrungen sammeln. Außerdem wurden die Spiele aufgezeichnet und ermöglichten es aufstrebenden Pokerspielern, Leaks und andere Fehler zu eliminieren. 

Voreingenommene oder unzusammenhängende Erinnerungen an Hände - Stunden, Tage oder Wochen nachdem sie gespielt wurden - waren passé. Jeder konnte einen perfekt formatierten Spielverlauf kopieren, weitergeben und studieren - alles in Schwarz-Weiß.

Der gesamte Lernprozess beschleunigte sich. Dieser Schneeballeffekt steigerte das allgemeine Niveau der Spieler, sodass es immer schwieriger wurde, das Spiel oder das jeweilige Limit zu schlagen.

Das Ergebnis ist, dass Poker heute viel anspruchsvoller ist als vor dreißig Jahren, und es wäre dumm, die Rolle des Internets in diesem Prozess zu leugnen. 

Viele behaupten, dass die heutigen Online-Amateure besser sind als viele Live-Profis in den 70er-, 80er und 90er-Jahre. Was meinen Sie dazu?

Trainingsseiten und Foren

Mit der zunehmenden Komplexität des Pokerspiels stieg auch die Nachfrage nach Plattformen, auf denen man sich über Hände austauschen und verbessern kann. Online-Pokerforen wie twoplustwo.com wurden sehr beliebt. 

In diesen Foren konnte und kann man sich bis heute über Strategien und Techniken austauschen. Die Spieler begannen voneinander zu lernen. 

Wie das Internet entwickelte sich auch das Spiel stetig weiter und es entstanden die ersten abonnementbasierten Coaching-Seiten wie DeucesCracked und Cardrunners. Diese Websites verfügten über eigene Foren und Podcasts. Die Hauptattraktion war jedoch ein Archiv mit Pokervideos, in denen die Abonnenten hochkarätigen Profis zusehen konnten, wie sie über bestimmte Pokerhände diskutierten. 

Auf DeucesCracked gab es eine MTT-Serie namens Tournamentality, bei der Vanessa Selbst eine der führenden Coaches war. Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass diese Seiten das strategische Bewusstsein von allen Spielern in der Pokerwelt verbessert haben.

Wer weiß, wo die heutigen Spiele ohne sie stehen würden?

Der Durchbruch von GTO-Solvern 

GTO-Poker-'Solver' sind eine der neueren Entwicklungen im Poker. Ihre Einführung hat den Übergang zu GTO-Poker ermöglicht, was das Spiel noch anspruchsvoller gemacht hat.  

GTO, oder Game Theory Optimal, ist eine perfekt ausgewogene und unschlagbare Strategie. Das Thema ist so komplex, dass wir in diesem Artikel leider nicht näher darauf eingehen können. Aber es ist wichtig zu verstehen, dass es schwierig ist, eine GTO-Strategie selbst zu entwickeln.

Poker ist ein sehr kompliziertes Spiel. Bei einem No Limit Heads-Up-Spiel gibt es zum Beispiel mehr theoretische Szenarien als Atome im Universum. 

Folglich sind GTO-Pokerstrategien unglaublich komplex und übersteigen die Fähigkeiten eines menschlichen Gehirns bei Weitem. Dank moderner Computer können Programme diese Strategien nun entwickeln.

Sobald sie berechnet sind, können Menschen die Ergebnisse studieren und sie selbst anwenden. Es ist unwahrscheinlich, dass ein Mensch jemals ein perfektes GTO-Spiel auf legale Weise spielen wird. Aber er kann sein Spiel durch die Anwendung von GTO-Strategien erheblich verbessern. 

GTO-Solver sind ein weiteres, ziemlich einschüchterndes Beispiel dafür, wie die Technologie das Standardniveau der Spieler anhebt. 

HUDs kommen ins Spiel

Die Nutzung von GTO-Strategien ist heute ein wichtiger Schwerpunkt in den High-Stakes-Spielen. Doch lange Zeit konzentrierten sich die meisten Pokerspieler auf einen ausbeuterischen (exploitative) Ansatz (und viele, wie Charlie Carrel, tun dies immer noch). 

Die Debatte zwischen GTO und einem solchen Spielstil ist ein Thema für einen anderen Artikel. Aber es wäre schwer zu bestreiten, dass der richtige Einsatz von HUDs es viel einfacher macht, seine Gegner auszunutzen.  

Ein Poker-HUD (oder Heads-up-Display) ist eine Tracking-Software, die die Entscheidungen Ihrer Gegner in Echtzeit überwacht. Es sammelt und erstellt eine Datenbank mit Informationen über jeden Spieler.  

Die Daten sind anpassbar und im Spiel zugänglich, sodass Sie strategische Entscheidungen auf der Grundlage der Tendenzen Ihres Gegners treffen können.

Moderne HUDs überwachen fast alles, was Ihre Gegner tun. Sie sagen Ihnen zwar nicht, wie Sie spielen sollen, aber wenn Sie ein HUD richtig einsetzen, ist es, als würden Sie mit einem perfekten, unvoreingenommenen Gedächtnis spielen. 

HUDs sind auch abseits der Pokertische großartig. Da sie alles aufzeichnen, bieten sie eine gute Möglichkeit, Session zu überprüfen und zu analysieren. Das macht es einfach, an Ihrem eigenen Spiel zu arbeiten und nach Gelegenheiten zu suchen, Ihre Gegner zu schlagen, wenn Sie nicht am Tisch sitzen. 

Ein großer Vorteil von HUDs ist, dass man mit ihnen viele Tische gleichzeitig im Auge behalten kann. Dadurch können Pokerspieler effektiver an mehreren Tischen spielen und die Gesamtzahl der Hände, die sie spielen können, erhöhen. 

HUD

Bevor die HUDs verboten wurden, sahen die Pokerbildschirme aus wie ein großes Durcheinander an Zahlen. Die Spieler spielten eine obszöne Anzahl von Tischen auf einmal und füllten jeden Pixel mehrerer Bildschirme mit einem Pokertisch. Sie überlagerten grelle Kästen mit lila und grünen Statistiken. 

Viele Freizeitspieler kritisieren die Verwendung von HUDs, weil sie glauben, dass sie Profis einen unfairen Vorteil verschaffen. Das stimmt zwar zum Teil, aber HUDs sind für jeden verfügbar. Die Vorteile der Verwendung eines HUD ergeben sich aus dem Wissen, wie man die Daten nutzen und interpretieren kann. 

Diese Anwendung erfordert ein hohes Maß an Geschick und strategischem Verständnis. Ein HUD falsch zu benutzen, kann schlimmer sein, als gar kein HUD zu benutzen. 

Allerdings speichern viele Poker-Clients mittlerweile keine Dateien mehr zu Ihrem Handverlauf auf Ihrem Computer, sodass HUDs nicht mehr funktionieren.

Die meisten Pokerseiten haben die Verwendung aller Programme von Drittanbietern untersagt, um das Risiko von Betrug und Bot-Nutzung zu verringern. Einige bieten jedoch ein grundlegendes HUD in ihrem eigenen Client an.

In jedem Fall bedeutet die zunehmende Herausforderung der Spiele, dass viele Spieler dazu neigen, an weniger Tischen zu spielen.

Der Aufstieg von BOTs

Der technologische Fortschritt hat sich insgesamt sehr positiv auf das Pokerspiel ausgewirkt. Aber die rasante Verbesserung der Computerleistung bedeutet, dass Poker-Bots immer fortschrittlicher und furchteinflößender werden. Dieser Fortschritt stellt eine ernsthafte Bedrohung dar.

Bots gab es bisher in zwei Hauptformen:

  1. Bei der ersten Form handelt es sich um einen minderwertigen Bot, der vorhersehbar und leicht zu schlagen war. Dieser Bot musste vom Entwickler programmiert werden und verwendete oft einfache, unelastische Strategien. Sie konnten zwar häufig sehr schwache Spieler schlagen, aber diese Bots waren anfällig für einen ausbeuterischen Spielstil. Sobald jemand die notwendigen Anpassungen vorgenommen hatte, konnten diese Bots mit Leichtigkeit geschlagen werden.
     
  2. Der zweite Bot war weitaus fortschrittlicher. Dabei handelt es sich um Bots wie Libratus und Polaris. Diese Bots benötigten jedoch eine Rechenleistung, die nur in millionenschweren Supercomputern vorhanden war. 

Da die wenigsten von uns über solche Computer verfügen, waren Bots in der Vergangenheit für den durchschnittlichen Pokerspieler kein großes Problem. Aber die Technologie schreitet sehr schnell voran. Es kann also nicht mehr lange dauern, bis ein umfassender Bot auf einem anständigen Heimcomputer existieren kann (wenn es nicht schon der Fall ist!).

  • Angenommen, die Technologie ist so weit fortgeschritten, dass ein Poker-Bot mit einem GTO-Solver arbeiten kann.
  • Angenommen, der Bot könnte ein zufälliges und glaubhaftes Maß an "menschlichen" Fehlern imitieren. 

Dann würden BOTs eine echte Gefahr für die Pokerwelt darstellen. 

Allerdings tun die Pokerseiten alles, was sie können, um die Spieler vor der Verwendung von Bots zu schützen. Da die Zufälligkeit des menschlichen Verhaltens schwer zu reproduzieren ist, existiert ein solcher Bot bislang noch nicht.

Wenn Sie mehr über Libratus und andere Poker-Bots erfahren möchten, sollten Sie sich diesen Artikel nicht entgehen lassen.

So, das war's dann auch schon. Bots, HUDs und Hole Card Cams. Was denken Sie wird als Nächstes kommen?

Dan O’Callaghan ist ein professioneller Pokerspieler, der seine Anfänge in der Online Pokerwelt als Danshreddies hatte. Er hat über 290.000 US-Dollar an Online Einnahmen gesammelt.